Der Schriftsteller Thomas Chatwin, hinter dem sich ganz offen Claus Beling verbirgt, war so nett, mir alle Fragen zu beantworten. So erfahren wir von seiner Liebe zu England, wie es ihm beim Schreiben so ergeht und wo man immer wieder etwas von ihm über sein Lieblingsthema erfahren kann. Gerade ist sein neues Buch »Das Lamm, das zu viel wusste« rausgekommen, das ist der zweite Teil seiner Krimi-Trilogie über die Doyle-Familie.
Inhaltsverzeichnis
In der deutschen Krimilandschaft sind Sie nicht mehr so unbekannt. M.W. sind Sie untrennbar mit Cornwall verbunden. Wie ist es dazu gekommen? Was haben Sie vor dem Schreiben gemacht?
Ich habe professionell geschrieben, seit ich zwanzig bin. Meine Liebe zu Cornwall ist vor allem ein Teil meines späteren Lebens, wobei meine England-Reisen schon zur Studienzeit begannen und diese große Liebe zu Südwestengland früh implantierten.
Thomas Chatwin
Wie sind Sie zum Schreiben gekommen? Gab es besondere Ereignisse, die Sie auf den Weg zum Schriftsteller gebracht haben?
Mein Weg als Autor hat sehr früh begonnen. Schon während meiner Zeit als Student der Vergleichenden Literaturwissenschaft hatte ich einen Literaturclub mitgegründet und erste Kurgeschichten geschrieben. Als ich Mitte zwanzig war, produzierte und sendete der Südwestfunk dann mein erstes Hörspiel, gefolgt von Short Stories fürs Radio. Auch ein erstes Radio-Interview als „junges Talent“ gab es, natürlich machte mich das stolz und spornte an. Anfang der 1980iger Jahre erschien mein erster Krimi-Roman beim Heyne Verlag, gefolgt von einigen anderen und von Krimi-Erzählungen für die Internationalen Heyne Krimi-Jahresbände, auch für Zeitschriften. Daneben ging fleißig meine Hörspielarbeit weiter, so dass ich zu dieser Zeit einer der meistgespielten Hörspielautoren Deutschlands wurde, insbesondere mit Literaturadaptionen.
Thomas Chatwin
Thomas Chatwin – England at its best
Aus Ihrem Job beim Fernsehen war Ihnen Dramaturgie nicht unbekannt. Konnten Sie damit gleich mit dem Schreiben loslegen oder hat es Anregungen von anderen Schriftstellern gegeben?
Mein Weg zum Fernsehen verlief damals parallel zum Schreiben. In den Achtzigern war Fernsehen ja noch eine große Sache, ich sah tolle mediale Entwicklungen und bekam früh die Chance, Verantwortung für neue Fiction-Programme zu übernehmen. Dabei durfte ich für’s ZDF ganze Sendeplätze kreieren, zum Beispiel den Sonntagabend, das war phantastisch. Also – was Ihre Frage betrifft: Es war eher so, dass ich das Fernsehen als eine lange spannende Phase während meines Lebens als Autor gesehen habe. Meine eigenen frühen dramaturgischen Erfahrungen als Schriftsteller haben wesentlich meine spätere Fernseharbeit beeinflusst. Ich konnte Drehbuchautoren immer mit dem Verständnis des Schriftstellerkollegen begegnen.
Thomas Chatwin
Was hat den Ausschlag für die Wahl eines Pseudonyms gegeben? Worauf geht der Name zurück? Gibt es eine Anekdote dazu?
Ich habe viele Jahre unter meinem richtigen Namen veröffentlicht, die meisten Journalisten hatten mich nun mal vorrangig als Fernsehmann konnotiert, sie wussten es ja nicht anders, das war okay. Aber mit meinem bewussten Abschied von der Fernsehbranche wollte ich etwas Neues beginnen. Der Rowohlt Verlag wünschte sich Cornwall-Krimis von mir, eine wunderbare Herausforderung. Gleich der erste Roman „Post für den Mörder“ – Beginn meiner Daphne Penrose-Reihe – war ein Riesenerfolg. Dafür hatte ich mich auf meine eigenen klitzekleinen englischen Wurzeln besonnen, denn eine meiner Großmütter hatte britisches Blut und der Name dieser Vorfahren lautete Chatwin. Also war Thomas Chatwin geboren.
Thomas Chatwin
Der schriftstellerische Alltag
Wie würden Sie sich als Schriftsteller charakterisieren? Eher der chaotische oder der disziplinierte Typ?
Ich sehe mich als disziplinierten Handwerker, Chaos würde mich in meiner Lebensfreude und Leichtigkeit stören. Also tue ich das, was fast alle Autoren tun, selbst die größten – ich betrete nach dem Frühstück mein Arbeitszimmer und schreibe bis zum späten Nachmittag. Dazu viel Lektüre und Recherche. Was den Alltag aber immer wieder auflockert sind meine Reisen. Ich muss alles Neue vor Ort erlebt haben, sonst kann ich nicht schreiben. Ich sitze in Cornwall am Hafen oder im Pub, rede mit Leuten, lasse mir neue Plätze zeigen und ungewöhnliche Erlebnisse schildern. Das ist für mich Inspiration pur.
Thomas Chatwin
Ohne was können Sie schriftstellerischen Arbeitstag nicht überstehen?
Thomas Chatwin
- Ohne meine wunderbare und geduldige Frau
- Ohne Menschen, die mir Geschichten aus dem Leben erzählen
- Ohne anregende Bücher aus allen Bereichen der Literatur
- Ohne Zeitungen
- Ohne ein gelegentliches Glas Wein zum Abend
Bei drei Romanen haben Sie Daphne Penrose ermitteln lassen. Doch nun gibt es eine Reihe mit neuen Ermittlern. Wie ist es dazu gekommen?
Auf die Daphne Penrose-Reihe hatten wir ein großartiges Echo, dafür war ich sehr dankbar. Dennoch hatte ich Lust, auch mal wieder etwas Neues zu entwickeln, gerne auch wieder Cornwall, aber andere Charaktere. Und dann passierte das, was ich auch im Nachwort des neuen Romans „Das Lamm, das zu viel wusste“ erzähle. Auf einer Wiese im herrlichen Park von Trelissick Garden konnte ich eine fröhliche kornische Großfamilie beim Grillen beobachten. Besonderes Vergnügen bereitete mir, dass bei diesem Picknick sehr offensichtlich eine Person das Sagen hatte – die Großmutter mit Strohhut. Sie gab Kommandos wie Queen Victoria, brachte ihre Familie aber auch mit britischem Humor zum Lachen. Das hat mir gefallen – und schon war Grandma Emily geboren.
Thomas Chatwin
Wie gehen Sie beim Schreiben vor? Kennen Sie das Ende so einigermaßen, bevor Sie mit dem kreativen Schreiben des Inhalts beginnen?
Nicht nur einigermaßen, sondern ziemlich genau. Der Roman ist fertig in meinem Kopf, fast jedes Detail. Nur gelegentlich bringen mich die Figuren selber auf eine neue Idee. Und natürlich gibt`s ein Exposé, bevor ich beginne. Ich mache mir auch oft Notizen auf Zetteln, aber meist schaue ich sie mir nie wieder an, weil ich ein ganz gutes Gedächtnis habe.
Thomas Chatwin
Wie schreiben Sie eigentlich physisch? Per Hand oder am Computer oder gar mit Diktiergerät?
Mit dem Computer. Ich habe leider eine Sauklaue, die ich selber nicht mehr lesen kann, da wird`s schwierig mit dem Entziffern.
Thomas Chatwin
Was ist Ihnen beim Recherchieren wichtig? Ist das für Sie als exzellenter Kenner der britischen Regionen überhaupt noch notwendig?
Wie gesagt, ich bin oft in Cornwall. Da ich die Landschaft so gut kenne – ich habe ja auch drei Reisebücher über Cornwall geschrieben – sammle ich vor allem Eindrücke, die mir frische Impulse geben. Auch für den jetzt erscheinenden Roman über die Familie Doyle habe ich wieder auf einer Schaffarm recherchiert und kann Ihnen jetzt alles über Zucht, Futter und Schafskrankheiten erzählen. Ich liebe Schafe, diese stillen unterschätzten Schlauberger.
Thomas Chatwin
Als Autor von Britcrime oder Cosycrime bekennen Sie sich zur sogenannten U-Literatur. Meinen Sie, dass die in manchen Kreisen gemachte Unterscheidung zwischen E- und U-Literatur heute noch Bestand hat und sinnvoll ist?
Es ist wie bei der Musik, dem Theater oder sogar bei der Filmbranche in Deutschland. Diese Unterscheidung von U und E ist albern und gibt es so nur bei uns, die Engländer und Franzosen amüsieren sich über unsere kulturelle Überheblichkeit. Ich glaube, sie stammt noch aus der Vorkriegszeit mit dem alten Bildungsbürgertum, als noch von guter oder schlechter Literatur gesprochen wurde. Nichts ist ja subjektiver als das. In England wird nur nach der Qualität eines Werkes geurteilt, da weiß der Kritiker sehr genau und hoch professionell, dass dieser Roman oder ein Film in erster Linie unterhalten soll und berücksichtigt das. Da gibt es keinen Punktabzug, weil der Kritiker unbedingt beweisen muss, was er für hohe persönliche Kriterien hat. Deshalb stirbt diese Art der Kritik auch langsam aus. Junge internetgewohnte Leser können damit sowie nichts anfangen.
Thomas Chatwin
Britcrime, Britpod – England und Krimi wohin man hört
Warum fühlen Sie sich beim Kriminalgenre so wohl? Denn das ist offensichtlich. Vor Jahren haben Sie auch Reisebeschreibungen veröffentlich. Würden Sie jetzt Ihre Kreativität nicht auch mal in anderen Genres ausführen wollen?
Wie gesagt, das habe ich ja früher ausführlich getan. Ich hätte auch keine Lust, einen harten Thriller zu schreiben. Aber Menschen und Kriminalfälle, die auf psychologische und hoffentlich unterhaltsame Weise menschliche Schwächen offenlegen, das interessiert mich sehr. Und natürlich liebe ich den britischen Humor.
Thomas Chatwin
Stellen Sie Ihre Krimis auch in Lesungen vor? Ist demnächst etwas geplant? Wo können sich die Fans ein Buch von Ihnen signieren lassen?
Bis vor ein paar Jahren habe ich noch fleißig Lesungen gemacht. Die Begegnung mit meinen Leserinnen und Lesern war mir sehr wertvoll. Momentan ist aber nichts geplant, denn ich betreibe ja noch ein weiteres zeitintensives Projekt. Zusammen mit Alexander Klaus Stecher, dem Ehemann von „Höhle der Löwen“-Star Judith Williams, sende ich jeden Sonntag eine neue Folge unseres England-Podcasts „BRITPOD – England at its Best“. Dort berichten wir über britische Kultur, Landschaften und Menschen, auch mit berühmten Menschen im Interview, zum Beispiel mit dem Tenor Jonas Kaufmann über die Oper in England. Dafür reisen Alexander und ich regelmäßig durch Großbritannien und treffen interessante Leute. Oft ist auch Judith Williams selbst dabei. Wer England liebt, erfährt hier ständig Neues, bis hin zu Insider-Reisetipps. Der „BritPod“ ist überall da zu finden, wo es Podcasts gibt, auf Spotify ebenso wie bei Amazon und anderen.
Thomas Chatwin
Es heißt immer, dass Schriftsteller viel lesen müssen. Da hätten Sie sicherlich doch auch eine Empfehlung. Wenn Sie die Wahl hätten, drei Bücher auf eine einsame Insel mitzunehmen, welche Bücher wären das?
Thomas Chatwin
- Romane der großartigen britischen Autorin Zadie Smith (z. B. Zähne zeigen). Sie ist immer ein Gewinn.
- Auch die kluge Ironie und Geheimdienst-Kenntnis eines John le Carré darf nicht fehlen. Übrigens hat er bis zu seinem Tod in Cornwall gelebt.
- Und noch immer gilt: Einer der größten deutschen Erzähler bleibt Theodor Fontane. Seine souveräne, kluge Beobachtungsgabe, ohne dabei auf Emotionen und Anteilnahme zu verzichten, wäre heute einigen furchtbar angestrengt wirkenden zeitgenössischen Autoren gewünscht.
Vielen Dank für die Zeit, die Sie mir, meinem Blog und den Lesern meines Blogs gewidmet haben. Und auf jeden Fall viel Erfolg weiterhin mit den Romanen und anderen Projekten!
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