Grégoire Delacourt: Die vier Jahreszeiten des Sommers

Bei diesem neuen Roman des französischen Schriftstellers, der dafür bekannt ist, dass er sehr poetisch und sanft schreibt, handelt es sich um einen Episodenroman, dessen einzelne Episoden auf sehr angenehme Weise miteinander verzahnt sind. Der Thitel deutet bereits an, worum es in dem Roman geht, wenn man dabei berücksichtigt, dass es sich bei den Jahreszeiten nicht um die des Kalenderjahres, sondern die des Lebens geht.
Im nordfranzösischen Bedaeort Le Touquet trifft der Leser auf vier verschiedene Gerationen von Pärchen. Es ist der französische Nationalfeiertag, der 14. Juli 1999. Laut den Medien steht mit dem bevorstehenden Jahrtausendwechsel auch der Untergang der Welt bevor. Im Radio wird Hors Saison von Francis Cabrel hoch und runter gespielt. Dies sind nur einige der Gemeinsamkeiten aller Episoden. In jeder der vier Lebens- und Liebesgeschichten spielt eine Blume eine ganz besondere Rolle, die der jeweiligen Geschichte ihren Namen leiht. Da sich alle Protagonisten zur gleichen Zeit an demselben Ort befinden, bleibt es nicht aus, dass sie sich über den Weg laufen. Das wird jedoch nicht lauthalsd hinausgeschrien, sondern der Leser muss nach den dezenten Andeutungen suchen. Delacourt versteht es, sie gleichzeitig zu verstecken und doch preiszugeben. Nicht gleich im ersten Moment wird dem Leser bewusst, dass er dieselbe Situation gerade ein zweites Mal aus anderer Sicht gelesen hat. Dieser Aha-Effekt schafft ein wohliges Gefühl. Das Universum der Geschichten wird breiter.
In seiner Wortwahl sanft und poetisch, sicherlich auch dank der passenden Übersetzung, fesselt jede einzelne Geschichte und man möchte wissen, wie die Liebesgeschichte der jeweiligen Figuren bzw. des Erzählers, denn jede Geschichte wird von einem Teil des Paares erzählt, ausgeht. Wird der fünfzehnjährige Junge seine erste Liebe auf Dauer gewinnen? Wird die ledige Mutter endlich einen Mann finden, der sie nicht enttäuscht? Wird die Mittfünfzigerin ihren Seitensprung bereuen? Wird das Paar, welches vor Kurzem die goldene Hochzeit feierte, noch viele weitere Jahre miteinander verbringen?
Jede dieser vier Episoden ist zunächst nach dreißig bis vierzig Jahren beendet. Sie haben ein Ende, welches auch so stehen bleiben könnte, ohne dass die Geschichten an Faszination verlieren. Doch Delacourt hat am Ende der vierten Episode jeder Geschichte noch einen drei- bis vierseitigen Epilog hintenangestellt. Dort bekommzt jede Geschichte noch ein weiteres Ende, zehn Jahre nach dem 14. Juli 1999. Einfach nur schön und lesenswert!

Grégoire Delacourt
Die vier Jahreszeiten des Sommers
aus dem Französischen von
Claudia Steinitz
Gebundene Ausgabe: 192 Seiten

Verlag: Atlantik (16. Juli 2016)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3455600417
ISBN-13: 978-3455600414
Originaltitel: Les quatre saisons de l`été
Größe und/oder Gewicht: 13 x 2 x 21,1 cm
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»Der nützliche Freund« von Ulrich Wickert

Der bereits aus den vorhergehenden Kriminalromanen des ehemaligen Tagesthemen-Moderators bekannte Pariser Richter Jacques Ricou wird erneut ganz persönlich in einen Fall hineingezogen, zu dem er zunächst einmal dienstlich und auch so keine Beziehung hat. Aus der Zeitung erfährt er von den Machenschaften eines französischen Ölkonzerns in Deutschland beim Erwerb einer Raffinerie. Unverkennbar handelt es sich um die Leuna-Affäre. Seine Freundin, die mal mehr oder weniger auch seine Lebensgefährtin ist, recherchiert und ermittelt als Top-Journalistin Jahre nach Abschluss und Todschweigen dieser Affäre erneut, weil ein ehemaliger Mitarbeiter des Geheimdienstes sein Schweigen brechen und auspacken möchte. Durch Ricou‘s Freundin Margaux bekommt die ganze Sache einen privaten Aspekt und ist nicht mehr rein dienstlich zu betrachten. Während sich die Journalistin zwecks eines Interviews mit dem ehemaligen Agenten in dessen Appartement trifft, versteckt sie sich beim Klingeln an der Wohnungstür, um nicht auf unerwartete Besucher zu treffen. Kurz darauf wird der Agent tot und sie bewusstlos aufgefunden. Richter Ricou wird mit den Ermittlungen in diesem Fall betraut, jedoch ahnt zunächst keiner, dass es sich hierbei um die Fortsetzung der fast vergessenen deutsch-französischen Affäre handelt und der Richter selber unter Verdacht gerät.

Faszinierend gestrickt bleibt die Handlung, selbst der Hintermänner des Mordes und anderer Taten dem Leser nicht verborgen. In zwei Handlungssträngen werden einerseits die Ermittlungen in diesem Fall und andererseits die Auftragsvergabe für die Verbrechen durch ein Genfer Bankhaus beschrieben. Kapitelweise wird zwischen beiden Szenen gewechselt und im Falle des Bankhauses, welches seinen Reichtum im zweiten Weltkrieg mit den Geldern der Juden erwarb, die Skrupellosigkeit einer speziellen gesellschaftlichen Kaste dargestellt. Mithilfe der „Genfer“ Kapitel wird der Leser auf bevorstehende Aktionen vorbereitet und es werden bereits abgeschlossene Handlungen plausibel erklärt. Der Strang für die Ermittlungen beansprucht mit Recht einen erheblich größeren Teil der Romanhandlung und der Autor bringt all sein Können ein, um dem Leser in äußerst dramatischer und abwechslungsreicher Weise seine Liebe zu und dem Charme von Paris nahezubringen. Durch die Offenlegung der wahren Hintermänner stellt sich dem Leser also nicht die Frage nach dem Täter, sondern die, ob und wie der Richter die Hintermänner dingfest machen kann.

Da die Akten der tatsächlichen Leuna-Affäre beim Umzug der deutschen Regierung von Bonn nach Berlin plötzlich verschwunden und in Frankreich nur Handlanger verurteilt worden waren, bleibt natürlich viel Raum für Spekulation, den sich Wickert sehr geschickt zu Eigen gemacht hat. Alles, was zu recherchieren war, wurde recherchiert und anschließend gekonnt mit den fiktiven Spekulationen verbunden. Auf diese Weise scheint der Roman sehr nah an der Realität zu sein und gibt beinah wie eine reportage den Überblick zur Leuna-Affäre. Die Handlung um den Richter herum scheint also in erster Linie die fiktive Handlung zu sein, wobei der Leser berechtigten Zweifel an der Fiktion bei der Beschreibung des französischen Lebensgefühls anmelden darf. Wer selbst schon einige Zeit in den Straßen, Bistros und Cafés in Paris verbracht hat, der wird bestätigen, dass Paris so ist, wie es in dem Buch beschrieben wurde. Die Gespräche in den Bistros, das Verhalten der Menschen und vor allem der Beamten scheinen eher ein echter Spiegel der Realität zu sein. Das Pariser Umfeld des Richters mit all seinen Freunden, Bekannten, Kollegen und Nachbarn wird sehr detailliert und angenehm geschildert. Somit lässt die Lektüre des Buches an dieser Stelle einen, wenn auch eingeschränkten, Hauch einer Reise nach Paris aufkommen. Ob das Gleiche für die offenherzige Zusammenarbeit der deutschen und der französischen Behörden gilt, wird der Autor selbst am besten einschätzen können.

Der Autor hat nie verschwiegen, dass er Frankreich und Paris liebt, warum sollte er es also in seinen Romanen verbergen. Aus diesem Grund ist „Der nützliche Freund“ nicht nur ein spannender, unterhaltsamer und flüssig zu lesender Kriminalroman mit dem Hintergrund einer früheren großen Politaffäre, sondern das Buch gleicht auch einer Reisebeschreibung von Paris. Es vermittelt ein Stück Paris und Pariser Lebensart und ist damit aber nicht nur für jeden Balkonien-Urlauber ein Muss.

Wickert, Ulrich
Der nützliche Freund

Piper Verlag GmbH, München
ISBN 9783492050203

© Detlef Knut, Düsseldorf 2009/2016 (Erstveröffentlichung 15.9.2009)

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Fred Vargas: Das barmherzige Fallbeil


Es ist einige Zeit her, dass ein neuer Kriminalroman um den Pariser Kommissar Adamsberg in Deutschland erschienen ist. Nun ist es soweit. Fred Vargas’ „Das barmherzige Fallbeil“ erschien in Frankreich in einem neuen Verlag und hat gleichermaßen in Deutschland ein neues Heim gefunden. Für die Freunde von Adamsberg und seinem dienstlichen Partner Danglard hatte das Warten nun ein Ende.

Darum geht es bei diesem neuen Fall: Kommissar Bourlin vom 15. Arrondissement in Paris wird zu einer Leiche gerufen. Doch offensichtlich handelt es sich bei der Toten in der Badewanne um ein Selbsttötungsdelikt. Der zuständige Untersuchungsrichter drängt auf einen schnellen Abschluss der Ermittlungen und das Schließen der Akte. Bourlins Bauchgefühl sagt ihm aber, dass es sich nicht um Selbstmord handelt. Besonders wegen eines ungewöhnlichen Symbols auf dem Waschtisch, ähnlich einem großen „H“, jedoch mit zwei Querstrichen, einem geraden und einem gekrümmten. Bourlin möchte seinen Kollegen Danglard und über diesen Adamsberg von der Kriminalabteilung im 13. Arrondissement, dem Studentenstadtteil Quartier Latin, hinzuziehen. Immer an der Aufklärumng eines Rätsels interessiert sind diese beiden schnell bereit dazu. Mehr durch Zufall gelangen sie auf eine Spur, der sie unbedingt nachgehen wollen. Doch dabei treffen sie auf einen weiteren „Selbstmord“.
Nahezu liebevoll kümmert sich Vargas um die vor Jahren geschaffenen Protagonisten. Auf interessante Weise und in vielen Bildern bringt sie den Lesern die Figuren nahe, sodass es nicht notwendig ist, alle vorhergehenden Vargas-Krimis gelesen haben zu müssen. In knappen Worten beschreibt sie Adamsberg und Danglard in einem Dialog von Bourlin mit einem jungen Kollegen folgendermaßen, was sich in der deutschen Übersetzung dann so liest:
„Wenn wir schon im Dunkeln tappen“, meinte Adamsberg im Fortgehen mit einer laxen Handbewegung, „kann man ja auch mal sagen, was einem so einfällt. Mich erinnert das Ding an eine Guillotine.“
Bourlin sah seinen Kollegen eine Weile an.
„Wundere dich nicht“, sagte er zu seinem Brigadier. „Das ist Adamsberg.“
Als wäre damit alles erklärt.
„Aber dieser Commandant Danglard“, meinte der junge Mann, „was hat der in seinem Schädel, dass er das alles weiß?“
„Weißwein.“

Es sind nicht nur die Spannung und die Beliebtheit von Adamsberg, die den Leser an die Geschichte kleben, sondern auch der leise Humor, vom ersten Satz an festklammert. Die Dialoge, die normaler Gespräche genauso wie Frotzeleien unter Kollegen widergeben, sind fortwährend unterhaltsam. Mit zwei Ausnahmen: Die Gespräche mit dem Präsidenten der Robespierre-Gesellschaft weckten kein besonderes Interesse in mir. An diesen Stellen hatte ich eher das Gefühl, als wolle die Schriftstellerin oberlehrerhaft den Lesern ein Stück der Geschichte Frankreichs vermitteln. Ein Straffen dieser Sequenzen hätte dem Roman gutgetan. Das betrifft auch die Passagen über Island und dessen Mythologie, bei denen sich Vargas genauso zu verzetteln scheint, wie es Adamsberg von dessen Kollegen vorgeworfen wird. Diese Passagen führen bei mir als Vargas-Fan leider zu Punktabzug.
Belohnt wird der Leser schließlich mit der Auflösung der einzelnen Konflickte und Irrwege, beispielsweise die Herkunft von Victor und Amédee oder die Geschehnisse auf der isländischen Insel vor mehreren Jahren. Faszinierend schließlich die komplexe Auflösung des Falles, die Adamsberg seinen Kollegen erläutert. Man kommt als Leser nicht umhin, zuzustimmen, wenn er sagt, dass sie, seine Kollegen, auch alles gewusst haben und nur die richtigen Schlüsse hätten ziehen müssen. Als Leser ging es mir genauso. Ich erinnerte mich an die gelesenen Passagen und fragte mich, warum ich nicht auf die Lösung gekommen bin. Wenn das keine Empfehlung wert ist!
       
Vargas, Fred
Das barmherzige Fallbeil
Aus dem Französischem von Waltraut Schwarze
Limes Verlag, München
ISBN 9783809026594
© Detlef Knut, Düsseldorf 2015

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»Dornenschwestern« von Philippa Gregory

Philippa Gregory gilt in den USA als die Meisterin des historischen Romans. In einem solchen Fall durften die Romane dieser Schriftstellerin nicht an mir vorbeigehen, ohne eines gelesen zu haben. „Dornenschwestern“ ist einer von mehreren Romanen, der sich der Rosenkriege zwischen den Familien Lancaster und York im 15. Jahrhundert annimmt.