Der neunzehnte Roman aus der Dave-Robicheaux-Reihe, »Die Tote im Eisblock«, von James Lee Burke ist mittlerweile in einer deutschen Übersetzung bei Pendragon erschienen. Es ist zwar immer noch ein Kriminalroman, aber der Schwerpunkt hat sich schon ganz schön verändert. Es geht immer noch um Verbrechen und deren Aufklärung, keine Frage. Aber die Figuren der Protagonisten Dave Robicheaux und Clete Purcel, ihr Lebensumfeld und die Politik in den USA nehmen einen immer gewichtigeren Faktor ein. Doch der Roman hat deshalb nichts an Spannung und Unterhaltsamkeit verloren, im Gegenteil.
Dave Robicheaux und Clete Purcel in der Sch…
Der Roman beginnt mit Unannehmlichkeiten sowohl für Dave als auch für Clete. Beide hatten zuletzt viel Prügel eingesteckt. Dave liegt immer noch in der Klinik, damit seine Wunden verheilen. Hier erscheint ihm Nachts eine junge Frau, Tee Jolie Melton. Sie unterhält sich mit ihm und schenkt ihm einen iPod, auf dem sie seine Lieblingsmusik draufkopiert hat. Doch als Dave das Krankenhaus verlassen darf, stellt er fest, dass Tee Jolie verschwunden ist. Und das schon seit Monaten. Die Musik auf dem iPod kann auch nur er hören, seine Tochter Alafair findet die Titel nicht und seine Frau Molly ist ebenso verzweifelt wie Dave selbst.
Clete hatte es nicht so schlimm getroffen und er musste nicht länger im Krankenhaus verbleiben. Aber er wird mit einem alten Schuldschein erpresst. Der ist Jahrzehnte alt, wurde längst beglichen. Warum dieser Schuldschein wieder auftaucht, kann sich keiner erklären. Die Erpresser stammen aus dem Giacano-Umfeld, der Mafia in New Orleans, die in nahezu allen Romanen dieser Reihe zumindest einen Gastauftritt haben. Doch dann werden Cletes Erpresser umgebracht. Er wird sogar bei einem Mord Zeuge und glaubt, den Killer zu erkennen.
Ein Eisblock mit ungewöhnlicher Fracht
Doch es bleibt nicht bei den Morden an den Erpressern. Am Ufer wird auch ein riesiger Eisblock an geschwemmt. Als Fracht transportiert er eine weibliche Leiche. Es ist Blue Melton, die jüngere Schwester von Tee Jolie. Es riesiges Spielfeld für Ermittlungen ist geöffnet. Und natürlich bleiben Anschläge auf Clete und Dave nicht aus.
„Für mich war Louisiana eigentlich immer ein hochgradig verfluchter Ort. Ich glaube tatsächlich, dass die Geister der Sklaven und Piraten, der Houma- und Atakapa-Indianer, der konföderierten Soldaten, französischen Söldner und plantation belles noch immer unter uns weilen. Ich glaube, dass ihre Geschichte nie angemessen erzählt wurde – und dass sie nicht eher ruhen, bis dieses Versäumnis nachgeholt wird.“
Dave Robicheaux von James Lee Burke in der Übersetzung von Bernd Gockel
Der Erzählstil von James Lee Burke umfasst ein riesiges Spektrum an Gestaltungsmöglichkeiten. Landschaften, Örtlichkeiten, Figuren und Geschehnisse werden ausgewogen neben die wörtliche Rede gestellt und geben ein umfassendes Bild. Mit dieser Erzählweise schafft es Burke, dass sich der Leser voll in das geschilderte Geschehen integriert fühlen kann. Die Figuren werden Familienmitglieder. Oftmals siegt das gute Herz in den Figuren, dass man als Leser gewillt ist, eine schreckliche Tat zu entschuldigen. Schließlich ist es nicht so, dass die Protagonisten immer und ausschließlich nur positiv handeln. Im Gegenteil, macht doch diese Widersprüchlichkeit den Reiz dieses Romans aus.
„Was für ein menschliches Wesen konnte einer jungen Frau derartig antun? Leider Gottes kannte ich auch die Antwort: Es gab genügend frauenfeindliche Sadisten in unserer Mitte, und zwar mehr von ihnen, als die meisten von uns ahnten. Wie es dazu kommen konnte? Die Antwort ist ebenso einfach: Unser Gesellschaftssystem zuckt oft genug mit den Schultern und gibt diesen Männern bereitwillig einen Freifahrtsschein.“
Dave Robicheaux von James Lee Burke in der Übersetzung von Bernd Gocke
Dennoch glaube ich, einen neuen Zug in diesem Roman entdeckt zu haben. Sarkasmus spielte in den Dialogen immer eine Rolle. Doch in diesem Roman kommt, vielleicht dank junger Frauen im Leben der Protagonisten, Humor dazu. Freche und frivole Dialoge sorgen für Spritzigkeit. Manchmal ist dieser Humor ein ganz spezieller Humor zwischen Dave und Clete. Ihre langjährige Freundschaft gestattet ihnen Wortwechsel, wie sie nur zwischen alten Freunden möglich sind. Ich bin mir nicht mal sicher, ob jemand, der mit diesem Roman den ersten Dave-Robicheaux-Krimi liest, diese hintergründigen Sätze versteht. Ich bilde mir jedenfalls ein, dass ich dazu gehöre und die beiden Jungs deshalb so gut verstehe. Das ist einfach nur sehr gut gemacht.
Der hier besprochene Roman gehört mit seinen 670 Seiten zu den umfangreichsten dieser Reihe. Trotzdem komme ich einfach nicht um eine Empfehlung herum. Gerade wegen der besonderen Freundschaft der beiden Hauptfiguren und der Brisanz des Themas in einem Dixii-Land der USA ist er ein besonders lesenswerter Roman.
James Lee Burke
Die Tote im Eisblock
Aus dem Amerikanischen von Bernd Gockel
Pendragon, Bielefeld
ISBN 9783865328113
Rezension von:
© Detlef Knut, Düsseldorf 2022
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